Ziel

Systemrelevant und unterschätzt, lautet ist Blietz-Weidmanns Diagnose. Sie verweist auf den verbreiteten Eindruck, Inkasso sei mit den Schlagworten Mahnschreiben und Gerichtsvollzieher umfassend beschrieben. Doch, so die erfahrene Inkasso-Managerin, das sei viel zu kurz gesprungen. Vielmehr sei modernes Forderungsmanagement eine datengetriebene, eng vernetzte Finanzdienstleistung, die tief in die Geschäftsabläufe der Mandanten hineinreicht und als unsichtbare Hand die Wirtschaft am Laufen hält.

„Forderungsmanagement ist kein rein operativer Prozess – es ist ein strategischer Faktor für die wirtschaftliche Stabilität unseres Landes. Es ist systemrelevant.“

– Anke Blietz-Weidmann

Forderungen in Zahlen: Die unterschätzte Masse

Fast 100 Millionen offene Forderungen – davon mehr als 30 Millionen pro Jahr neu im Inkasso. Und das bei mehrheitlich kleinen Beträgen: 78 % aller Forderungen liegen unter 250 Euro. Diese Zahlen sprechen nicht für Glamour, aber für Alltagsrelevanz. Denn Inkasso sorge dafür, dass die Liquidität stimmt – besonders im Mittelstand. Was auf den ersten Blick wie ein verlängerter Arm der Buchhaltung wirkt, ist in Wirklichkeit Risikomanagement, Frühwarnsystem und Liquiditätsmotor in einem. Diese Funktion zu unterschätzen sei daher nicht ratsam.

Digitale Netzwerke und smarte Prozesse

Was früher Mahnbüro war, ist heute Prozesspartner für E-Commerce, Banken und Versicherungen. Bei Modellen wie Buy-Now-Pay-Later übernimmt der Inkassodienstleister das Risiko – und damit die Verantwortung, die Wirtschaft am Laufen zu halten. Dazu kommen digitale Tools, Scoring-Modelle, KI-gestützte Schuldnerkommunikation und zumindest perspektivisch Blockchain-Technologien, mit denen die Prozesssischerheit sogar noch erhöht werden könne. Nicht mehr die Mahnung zählt – sondern die Fähigkeit, in Echtzeit Informationen zu verarbeiten, Risiken einzuschätzen und Zahlungen effizient zu koordinieren.

Die vier Megatrends Demografie, Digitalisierung, Dekarbonisierung und Deglobalisierung wirken auch auf das Forderungsmanagement und die Inkassobranche. Dabei sind die beiden ersten „Ds“, Demografie und Digitalisierung, bereits Teil der täglichen Herausforderungen und Fokus der brancheninternen Transformationsprozesse. Während der Fachkräftemangel den Einsatz intelligenter Systeme vorantreibt, schaffen neue Technologien neue Chancen. Beispiel: KI-gestützte Kommunikations- und Prüfungswerkzeuge. Sie entlasten nicht nur die Mitarbeitenden in den Unternehmen, sondern helfen auch vermeidbare Fehler auszuschließen. In Zukunft könnten etwa ‚Smart Contracts‘ auf Blockchain-Basis Mahnprozesse vollständig automatisieren – fehlerfrei und transparent.

„Wir treiben die Digitalisierung nicht voran, weil sie billiger ist – sondern weil sie vernünftig ist.“

– Anke Blietz-Weidmann

Von FinTech bis Justiz: Systemrelevanz in drei Dimensionen

Wie gesehen, gehen Forderungsmanagement und Inkasso weit über das Einziehen von Außenständen hinaus. Sie sichern die wirtschaftliche Stabilität, indem über 5 Mrd. Euro jährlich in die Wirtschaft zurücküberwiesen werden. Inkasso stabilisiert zudem den Finanzsektor. Denn der Gesetzgeber hat den Zugang zum Handel mit sogenannten notleidenden Krediten (Non-Performing Loans, NPL) geöffnet und erhofft sich davon eine Entlastung der Bankbilanzen und die Schaffung neuer Investitionsspielräume. Nicht zuletzt entlastet das Inkasso massiv das gerichtliche Mahnwesen: Gut 80 % aller Inkassoverfahren werden außergerichtlich von Inkassodienstleistern gelöst – eine massive Entlastung für Gerichte und Gerichtsvollzieher.

„Ohne uns wäre das gerichtliche Mahnwesen längst kollabiert.“

– Anke Blietz-Weidmann

Ein Appell an Wirtschaft und Politik

Die BDIU-Präsidentin endete mit dem Appell, Wirtschaft und Politik mögen sich klar machen, dass Inkasso längst ein Schlüsselakteur in einer zunehmend komplexen Wirtschaft sei und sich diese Rolle durch digitale Technologien und weitere Vernetzung sogar noch verstärken werde. Wenn das Inkasso das unsichtbare Rückgrat der Wirtschaft und des gerichtlichen Mahnwesens sei, dann müsse man auch dafür sorgen, dass dieses Rückgrat nicht über Gebühr belastet werde. Es sei wohl klar, dass es sich mit Rückenschmerzen nicht so gut leben läßt.